Mehr Pflegebedürftige erfordern mehr Personal
Interview zum Fachkräftemangel und Pflegenotstand in unserer Region
Das Deutsche Rote Kreuz ist neben seinem großen Bereich Rettungsdienst auch Träger des Wohnheimes für seelisch behinderte und psychisch kranke Menschen und Betreiber der Seniorenpflege „Glücksbrunn“ in Schweina.In der Seniorenpflege gibt es 56 Pflegeplätze.
„Diakoniewert“ Bad Salzungen-Schmalkalden bietet für Personen mit geistiger Behinderung und psychischer Erkrankung Beratung und Begegnung, 650 Arbeitsplätze in Werkstätten für Menschen mit Behinderung sowie Wohnplätze in verschiedenen Wohnanlagen und in ambulanter Betreuungsform. Außerdem betreibt das gemeinnützige Unternehmen einen ambulanten Pflegedienst. 150 Menschen werden in vollstationären sowie rund 100 Menschen in ambulanten Wohnformen betreut.
Thorsten Rittner (DRK) und Tobias Jäger ("diakoniewert") im Gespräch zum Themen "Pflegenotstand in der Region".
In der öffentlichen Wahrnehmung verdienen Ihre Mitarbeiter schlecht, müssen Tag und Nacht arbeiten und sind täglich mit Tod und Elend konfrontiert. Oder?
Thorsten Rittner: Dieses negative Bild wird in der Gesellschaft und Politik überall suggeriert. Dadurch ist die Arbeit in der Pflege überhaupt erst in Verruf geraten. Es ist bedauerlich, dass ein angemessener Status fehlt. Aus diesem Grund fehlen uns heute die Auszubildenden und die Fachkräfte in den Einrichtungen. Unsere Mitarbeiter erhalten eine gute tarifgebundene Bezahlung. Die Arbeit im Schichtdienst ist nicht nur ein Nachteil. Natürlich muss man Freude an der Arbeit mit Menschen haben. Und dann ist es doch eine große Erfüllung, wenn man hilfsbedürftigen Menschen die Lebensqualität erhalten kann.
Was ist aus Ihrer Sicht das Schöne am Pflegeberuf?
Thorsten Rittner: Nichts ist schöner, als in den Augen unserer Bewohner ein strahlendes Leuchten zu sehen, wenn es ihnen gut geht. Das kann man in diesem Beruf erleben. Man bekommt für seine Arbeit ganz unmittelbar Dankbarkeit, aber auch Kritik.
Tobias Jäger: Ich schließe mich Herrn Rittner an. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass insbesondere der Dienst ganz nah bei den Menschen unseren Mitarbeitenden sehr viel zurückgibt.
Worin sehen Sie dann die Probleme?
Tobias Jäger: Unabhängig von der Wahrnehmung des Berufsstandes in der Öffentlichkeit müssen auch die Rahmenbedingungen, die uns der Gesetzgeber auferlegt, dringend überarbeitet werden. Der politische Wille, der Pflege mehr Geld zukommen zu lassen, wird derzeit einzig von den Bewohnern und deren Angehörigen finanziert.
Bemerken Sie auch den Fachkräftemangel in Ihren Einrichtungen?
Tobias Jäger: Ich denke, ich spreche für uns beide, wenn ich sage, dass es bei uns keinen Pflegenotstand gibt. Allerdings gestaltet sich die Besetzung freier Stellen schwierig.
Thorsten Rittner: Genau. Bei fehlenden Fachkräften passen wir die Belegung entsprechend an.
Unbestritten ist dennoch, dass zukünftig immer mehr Menschen auf Pflege angewiesen sein werden. Und dafür benötigen wir mehr Personal. Die sogenannte Fachkraftquote, die für Thüringen nicht einmal geregelt ist, orientiert sich an Idealbedingungen, die nicht mehr der Realität entsprechen. Wenn zum Beispiel festgelegt wurde, dass die Quote bei 1:2 liegt, also eine Pflegekraft für zwei Bewohner verantwortlich ist, dann wurden seitens der Kostenträger dabei nur 24 Tage Urlaub und 14 Krankentage kalkuliert. Die Realität sieht heute ganz anders aus! Der Personalmangel wird damit auch ein ganzes Stück weit künstlich erzeugt.
Ist es eine Lösung, Pflegekräfte aus dem Ausland anzuwerben?
Thorsten Rittner: Die Suche nach ausgebildeten Kräften im Ausland birgt leider auch viele Probleme. Häufig reicht die Sprachkompetenz nicht aus. Wir haben damit aber noch keine Erfahrungen gemacht. Und es muss uns bewusst sein: Wenn wir Fachkräfte aus dem Ausland beschäftigen, verlagern wir das Problem in deren Heimatländer, auch wenn dort die familiären Strukturen derzeit noch anders ausgeprägt sind. Es wäre letztlich nur eine temporäre Lösung. Eine dauerhafte Beseitigung des Missstandes ist es ganz sicher nicht.
Tobias Jäger: Dem kann ich mich nur anschließen und ergänzen, dass der Fachkräftemangel in der Eingliederungshilfe nicht nur die Profession „Pflege“ betrifft, sondern insbesondere auch den Bereich Heilerzieher und Sozialpädagogen.
Und wie reagieren Sie darauf?
Tobias Jäger: Als tarifgebundenes Unternehmen nehmen wir eine Spitzenposition in Bezug auf Bezahlung und den darüber hinaus gehenden Leistungen für unsere Mitarbeitenden ein. Fort- und Weiterbildungen sind für uns selbstverständlich. Darüber hinaus versuchen wir für ein gutes Betriebsklima zu sorgen.
Thorsten Rittner: Wir sind ein regionaler Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern ein optimales Verhältnis zwischen Wohnort und Arbeitsplatz bieten kann. Und wir haben interessante soziale Rahmenbedingungen für unsere Angestellten. Es gibt Qualifikations- und Aufstiegsmöglichkeiten.
Altenpfleger, das klingt für viele junge Leute nicht besonders attraktiv.
Thorsten Rittner: Der Beruf bietet jungen Leuten die Möglichkeit, in der Region zu bleiben. Wir beginnen in diesem Jahr erstmals mit einer einjährigen Pflegehelferausbildung. Die Auszubildenden haben somit die Chance, erst einmal ganz behutsam in die Branche reinzuschnuppern. Wenn es ihnen Spaß macht und Erfüllung bringt, dann kann die Ausbildung nahtlos fortgeführt werden. Nach weiteren zwei Jahren legt man dann die Prüfung zur staatlich anerkannten Pflegefachkraft ab. Eine Ausbildung, die einem jungen Menschen den Einstieg in das Berufsleben garantiert.
Was sollte sich ändern?
Tobias Jäger: Die Einsicht bei den politischen Akteuren, dass Pflege unter diesen Rahmenbedingungen wahrscheinlich nicht zukunftsfähig ist. Und endlich zu handeln. Es bedarf einer gerechten Verteilung der Belastung zwischen der Gesellschaft und den betroffenen Bewohnern und deren Angehörigen, so wie es andere Länder bereits leben. Ich wünsche mir eine Aufwertung des Berufsstandes und hoffe sehr, dass sich unter anderem dadurch der Fachkräftemangel zukünftig entspannt.
Thorsten Rittner: Und wir müssen attraktive Bedingungen schaffen, die es ausgebildeten Fachkräften leicht macht, in unserer lebenswerten Region zu bleiben. Unter anderem ist mit den aktuellen Tarifabschlüssen eine sehr gute Voraussetzung geschaffen.
Wie möchten Sie die Pflege verstanden wissen?
Thorsten Rittner: Es ist eine Dienstleistung, die wir anbieten, welche Familien und Angehörige entlastet. Pflege muss würdevoll erfolgen und als wichtige und sinnstiftende Tätigkeit verstanden werden. Die Angehörigen müssen sich auf uns verlassen können und die Bewohner müssen sich wohlfühlen.
Tobias Jäger: Als diakonisches Unternehmen betrachten wir Pflege ähnlich wie von Herrn Rittner geäußert. Es gab mal ein Slogan in der Diakonie: „Mehr als Pflege“. Das „Mehr“ findet sicherlich seinen Ausdruck in der erwartbaren Haltung an eine Pflegekraft, den Menschen in seiner Gesamtheit mit all seinen Bedürfnissen, auch seinen –religiösen, spirituellen bzw. ethischen Wertvorstellungen- anzusehen.
Foto: DRK, Zelck